10 Tipps für das Eheleben – Interview mit Psychotherapeutin Stefanie Stahl 
Perfekte Blumen, das Traumkleid, eine unvergessliche Location – viele Paare planen ihre Hochzeit bis ins kleinste Detail. Aber was ist mit dem „Danach“? Wir sprechen mit VIP-Psychotherapeutin Stefanie Stahl über die erste Zeit als Ehepaar, Beziehungstipps und darüber, warum gemeinsame Werte das beste Fundament für die Liebe sind.
- 1. Viele Paare investieren viel Energie in die Hochzeitsplanung, aber kaum in die Ehevorbereitung. Warum?
- 2. Mit welchen Illusionen starten Paare in die Ehe?
- Gibt es dazu ein Beispiel?
- 3. Wie bleibt man über lange Zeit verliebt?
- 4. Welche Rituale sollten frisch verheiratete Paare leben, um glücklich zu bleiben?
- 5. Wie kann man als Paar lernen, konstruktiv miteinander zu streiten, statt sich zu entfremden?
- 6. Was hat das „innere Kind“ mit einer funktionierenden Ehe zu tun? Warum ist es so wichtig, sich damit auseinanderzusetzen?
- 7. Welche Rolle spielen gemeinsame Werte und Lebensziele in einer Ehe?
- 8. Und was tut man, wenn man merkt, dass man sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt?
- 9. Gibt es denn einen psychologischen „Geheimtipp“?
- 10. Wie übersteht man das „verflixte siebte Jahr“ – und darüber hinaus?
1. Viele Paare investieren viel Energie in die Hochzeitsplanung, aber kaum in die Ehevorbereitung. Warum?
„Die Hochzeitsplanung ist konkret, die Ehevorbereitung ist dagegen etwas Abstraktes. Und deswegen ist das schwieriger, weil viele Menschen unterschätzen, dass eine gute Beziehung Pflege und Aufmerksamkeit braucht. Und es kommt hinzu, dass eigentlich die meisten Schwierigkeiten, die sich in Paarkonstellationen oder überhaupt zwischenmenschlichen Konstellationen ergeben, etwas mit den eigenen Beziehungsmustern und den eigenen Ängsten zu tun haben. Viele sind nicht so reflektiert oder überhaupt bereit, sich damit auseinanderzusetzen.“
2. Mit welchen Illusionen starten Paare in die Ehe?
„Die häufigste Illusion ist eigentlich, dass die Liebe allein genügt. Viele glauben auch, dass der Partner oder die Partnerin, die eigenen Wünsche und Bedürfnisse intuitiv erkennt, erahnt, erspürt und erfüllen wird und unterschätzen auch, dass eine gute Ehe ein Kommunikationsprojekt ist. Das heißt, manchmal erwartet man, dass der andere die Glücksgarantie ist. Das führt zwangsläufig zur Enttäuschung. Und dann sind wir wieder bei den eigenen Mustern: Es geht letztlich immer darum, dass jeder so ein kleines „inneres Schattenkind“ hat, was er oder sie nicht richtig kennt und dementsprechend agiert, also dass alte Kindheitsmutter, alte Kränkungen, alte Verletzungen, eine alte Prägung, am Steuer sitzen. Da sie meistens unbewusst sind, sind sie auch wahnsinnig machtvoll. Also im Grunde genommen ist die beste Garantie für eine gelingende Beziehung eine gute Selbstreflexionsfähigkeit. Das ist das A und O.“
Gibt es dazu ein Beispiel?
„Ich habe mich als Kind vielleicht wenig beachtet, zu wenig geliebt gefühlt, und jetzt sind die geringsten Aufmerksamkeitsprobleme von meinem Gegenüber für mich Trigger, durch die ich mich wieder verletzt fühle. Mein Ehepartner oder meine Ehepartnerin hört vielleicht nicht richtig zu. Er oder sie läuft beim gemeinsamen Wandern immer voraus. Und ich bin jedes Mal beleidigt: „Ich werde hier abgehängt, er oder sie achtet nicht, wie schnell ich gehe, er oder sie ist nicht ganz aufmerksam im Gespräch“ – das wird jedes Mal wieder als Anlass für eine persönliche Kränkung genommen. Das zeigt, dass man das Eigene nicht gut reflektiert und dann ständig vom anderen etwas erwartet, um die eigene Kränkung, die eigentlich aus der Vergangenheit kommt, zu heilen. Je klarer man sich selbst kennt, desto klarer kann man kommunizieren und desto weniger macht man dem oder der anderen Vorwürfe für ein Verhalten, das eigentlich nicht weiter schlimm ist, sondern nur meine eigenen wunden Punkte berührt.“
3. Wie bleibt man über lange Zeit verliebt?
„Eine gute Ehe bedeutet nicht Dauerverliebtheit, sondern man tauscht eigentlich einen Wert gegen den anderen ein. Man hat die emotionale Nähe, die emotionale Sicherheit, die tiefe Verbundenheit, das wirkliche Sich-aufeinander-verlassen-Können, das echte „Ich kann dir vertrauen“ – aber nicht mehr die rauschhafte Leidenschaft.
Diese Verbundenheit kann man pflegen, indem man weiterhin in der Aufmerksamkeit bleibt und nicht alles für selbstverständlich hinnimmt – indem man sich weiterhin für den anderen interessiert. Mein Mann macht mir zum Beispiel immer Frühstück: Ich bin jedes Mal wieder aufs Neue begeistert.“
4. Welche Rituale sollten frisch verheiratete Paare leben, um glücklich zu bleiben?
„Viele Paare machen das automatisch. Wichtig ist, dass man immer wieder für Quality-time sorgt, also dass nicht alles immer nur Alltag und Routine ist, sondern dass man immer mal wieder etwas Gemeinsames, Schönes unternimmt. Es kann auch ein wöchentliches Beziehungsgespräch sein, wo man sich einfach mal eine Stunde Zeit nimmt für Fragen wie: Wie geht es dir? Was war gut die Woche, was war weniger gut?“
5. Wie kann man als Paar lernen, konstruktiv miteinander zu streiten, statt sich zu entfremden?
„Wenn man reflektiert ist, kennt man seine eigenen Trigger. Man kann seine Gefühle auch viel besser verwalten, weil man nicht so schnell gekränkt oder verletzt ist. Vertrauen spielt in der Beziehung eine große Rolle. Dann ist man ebenfalls weniger gekränkt, wenn der andere im Affekt etwas sagt, das er vielleicht gar nicht so meint. Dann nimmt man vieles gar nicht so persönlich. Wichtig ist es auch, möglichst in eigenen Wünschen zu sprechen. Zum Beispiel indem man sagt „Ich wünschte, wir hätten einfach wieder mehr Nähe zueinander“ anstatt „nie bist du da“ zu sagen. Das heißt, man lernt, die Verantwortung für die eigenen Reaktionen zu übernehmen und diese nicht dem anderen zuzuschieben. In den Therapiegesprächen habe ich oft erlebt, dass es um dieselben Themen geht: Mangel an Anerkennung, beide wollen mehr Zuwendung und Verständnis füreinander. Und Verteilungsgerechtigkeit: wer übernimmt welche Verantwortung für welche Alltagsangelegenheiten.“
6. Was hat das „innere Kind“ mit einer funktionierenden Ehe zu tun? Warum ist es so wichtig, sich damit auseinanderzusetzen?
„Das „innere Kind“ steht für frühe emotionale Prägungen, Ängste und Bedürfnisse. Ich habe immer dieses Beispiel von Michael in meinem Buch „Das Kind in dir muss Heimat finden“. Er kommt aus einer Kindheit mit einem stressigen Alltag. Er hatte viele Geschwister. Die Eltern waren beide selbständig und deswegen fühlte er sich als Kind oft zu kurz gekommen. Sein „inneres Kind“ hat immer das Gefühl „ich bin nicht wichtig“. Dann ist der kleinste Anlass mit seiner Freundin, wenn diese irgendwas übersieht, irgendwo etwas vergisst, dass er ausflippt, weil er sofort getriggert ist. Er muss lernen, diese Vergangenheit, die er früher erlebt hat, von der Gegenwart zu unterscheiden. Sonst ist er Sklave seines Gehirns und verfällt immer wieder in alte Muster.“
7. Welche Rolle spielen gemeinsame Werte und Lebensziele in einer Ehe?
„Die Werte sind das gemeinsame Fundament. Sie geben allem die Richtung und Stabilität. Es macht keinen Sinn, wenn einer von einer großen Familie träumt und der andere nicht. Dann fehlt da die Wertegemeinschaft „Familienleben“. Was ist unser Lebensstil, welche Zukunftsvision teilen wir: Ohne diese Übereinstimmung wird es richtig schwierig.“
8. Und was tut man, wenn man merkt, dass man sich in unterschiedliche Richtungen entwickelt?
„Das Wichtige ist, dass man immer im Austausch bleibt. Man kann sich durchaus weiterentwickeln innerhalb einer Beziehung. Und vielleicht auch mal ein bisschen in eine andere Richtung – das kann eine gute Beziehung aushalten. Das Wichtige ist, dass man im Flow der Kommunikation und transparent bleibt. Was auch immer wieder hilft, ist, sich die gemeinsamen Schnittmengen vor Augen zu führen, also „wo haben wir noch ganz viel Gemeinsamkeiten“. Wenn sich Lebensstile fundamental auseinanderentwickeln, dass der eine sagt, er oder sie möchte jetzt auf Weltreisen gehen und seinen oder ihren Job hinwerfen und wünscht sich ein anderes Leben, dann kann es natürlich manchmal zwar schmerzhaft, aber letztlich auch ehrlich sein, sich einzugestehen, dass die Beziehung so jetzt nicht mehr tragfähig ist.“
9. Gibt es denn einen psychologischen „Geheimtipp“?
„Am besten schon vor der Hochzeit: Je besser man über Gefühle sprechen kann beziehungsweise überhaupt mit seinen Gefühlen umgehen kann, desto besser. Das heißt, dass man seine Gefühle richtig fühlt: Das ist Trauer, was ich gerade fühle, das ist Enttäuschung, was ich gerade fühle, das ist Freude, was ich gerade fühle, das ist Stolz, was ich gerade fühle. Am Ende des Tages geht es um die Frage, fühle ich mich hier gut oder fühle ich mich hier schlecht? Es ist wichtig, über die eigenen Bedürfnisse, Ängste und Wünsche sprechen zu können – und nicht erst dann, wenn der Konflikt bereits da ist. Die emotionale Kommunikation sollte bereits eingeübt sein und als gemeinsamer Wert gelten.“
10. Wie übersteht man das „verflixte siebte Jahr“ – und darüber hinaus?
„Also ich rate erstmal zu einer realistischen Einstellung zu kommen. Es ist eine Illusion, dass man ewige Leidenschaft aufrechterhalten kann. Manchmal hilft es einfach zu sagen: „das ist jetzt so!“ Das nimmt den Druck raus. Wichtig ist auch die Wertschätzung für das, was vorhanden ist. Und was natürlich auch immer ein bisschen Würze reinbringt, ist, wenn jeder seinen eigenen Bereich hat. Also dass man sich manchmal noch ein bisschen fremd bleibt, um sich dann wieder neu zu entdecken.“
Unsere Expertin:
Stefanie Stahl